Rezensionen

Dr. Maren Welsch, Kunsthistorikerin

Eröffnung: Galerie Richter, Lütjenburg 20, September 2013

Wesensblicke, Christof Klemmt


Guten Abend meine Damen und Herren!

Wesensblicke, so der poetisch eigenwillige Titel dieser Ausstellung, zeigt einen Querschnitt durch das bildnerische Schaffen des Künstlers. Bei der Auswahl der Arbeiten hat Christof Klemmt den Schwerpunkt auf Landschaften und Porträts gelegt, und so spielt der Titel in vielschichtiger Weise mit dem Dargestellten: „Wesensblicke" lässt sich auf die Porträts der seltsamen Gestalten beziehen, deren Erscheinungsbild allein der Vorstellungskraft des Künstlers entsprungen ist. Doch er passt ebenso auf die Landschaften, denn ihnen hat der Maler durch seinen eigenwilligen Umgang mit der Farbe eine besondere Materialität verliehen und damit das jeweils Charakteristische hervorgehoben. Darüber hinaus hinterfragt dieser Titel auch das Wesen der Malerei. Denn für Christof Klemmt bildet die Frage, was die besonderen Möglichkeiten - eben das Eigentliche - der Malerei sind, den Ausgangspunkt all seiner malerischen Überlegungen. Doch bevor wir auf diesen Punkt zurückkommen, schauen wir uns die Arbeiten erst einmal genauer an.


Zunächst die Porträts. Vermutlich kostet es Sie einige Mühe, auf manchen Leinwänden in dem vielschichtigen Geflecht aus Farben und Linien überhaupt Figuren zu erkennen, und wenn diese dann auch noch eine ganz bestimmte Person darstellen sollen, wird es nicht unbedingt einfacher, oder vielleicht doch?


Mister Findushys Gestalt hebt sich deutlich und scharf umrissen von dem grauen Hintergrund ab. Aus vielen Schichten Lack und Ölfarbe geschaffen, teilt er nichts über die Figur mit, er verortet sie nirgendwo und lässt auch keine Schlussfolgerung über ihre Größe zu. Die Konturen, Haare und Kinnpartie wurden in die Farbe eingeritzt und unterstreichen die scharfe Trennung zwischen Innen- und Außenwelt. Dagegen weist die Gestalt von Mister Findushy viele verschiedene Farbnuancen auf, die Christof Klemmt mit stark verdünnter Farbe auf die Leinwand getropft hat. So ist ein komplexes Bild der Person entstanden, das zur Interpretation durch den Betrachter einlädt und gleichzeitig darüber hinaus weist. Sie haben noch nie von Mister Findushy gehört? Nun, es ist eine fiktive Gestalt im Geiste von James Joyce. Sie entstammt jedoch einer Erzählung von Christof Klemmt, denn neben der Malerei schreibt er auch Geschichten und Trash-Prosa in einem auffällig malerischen und bildhaften Stil.


So ist das Überraschende an diesem Bild, dass es formal und inhaltlich das klassische Porträt wieder aufgreift und es, nicht zuletzt dank der vielfältigen künstlerischen Techniken, die hier zum Einsatz kamen, mit neuem Leben füllt.


Einen Schritt weiter geht der Künstler mit der Siliziumfrau. Das in diesem Jahr entstandene Porträt ist ebenfalls in den Untergrund geritzt, und vergleichbar sind auch die malerisch so unterschiedliche Behandlung von pastos aufgetragenem, dunklem Hintergrund und der Figur aus stark verdünnter, silberner Ölfarbe, die der Maler auf die Leinwand getropft hat. Doch durch die reduzierte Farbwahl und den silbrigen Glanz wirkt diese weibliche Gestalt abstrakt und unnahbar. Auch zeigt sich hier die besondere Technik, mit der der Künstler gerne experimentiert, indem er Ölfarbe und Lack zusammen mit Sonnenblumenöl und Harzen aufträgt. Eine Mischung, die nicht nur extrem langsam trocknet, sondern auch für das Reißen der obersten Farbschichten zuständig ist. Auf diese Weise hat Christof Klemmt einen organischen Prozess in Gang gesetzt, der interessanterweise gerade das Unwirkliche der Erscheinung unterstreicht. Denn die Siliziumfrau entstammt einer anderen Vorstellungswelt, möglicherweise einer anderen Galaxie. Der Maler unternimmt hier den Versuch etwas zu visualisieren, das eigentlich nicht darstellbar ist und so vielleicht gar nicht gedacht werden kann. Auf diese Weise ist ein Spagat entstanden zwischen einer Welt, die über ihre Materialität real vorhanden ist, und deren Abbildung gleichzeitig die Grenze des Darstellbaren hinterfragt. Erwähnt seien ferner die kleinen Porträtstudien, Aquarelle auf schwerem Büttenpapier, ebenfalls aus diesem Jahr. Bei der Wahl seiner Malmittel hat der Künstler auch hier eigentlich Unvereinbares miteinander verknüpft: Er hat das grobe Bütten mit Gesso grundiert, mit dem üblicherweise Leinwände bearbeitet werden, und in die noch feuchte Aquarellfarbe glänzende und dickflüssige weiße Lackfarbe gesetzt. Dadurch hat er eine reliefartige Wirkung erzeugt, die an ein Gesicht mit ausgeprägten Altersfalten denken lässt.


Schließlich möchte ich noch auf das großformatige Gruppenporträt hinweisen, das wiederum malerisch ganz anders aufgefasst ist. Die dreiteilige Arbeit Sie kamen aus dem Tal zeigt eine leuchtende, abstrakte Landschaft aus breiten, horizontalen Pinselstrichen, die in ihrer Farbigkeit an einen Sonnenunter- oder -aufgang erinnert. Aus der Tiefe des Bildraums scheinen zunächst drei, bei genauerem Hinsehen aber noch viele weitere Figuren empor zu klettern. Sie sind lediglich anhand der breiten schwarzen Umrisslinien und der Augenpunkte zu erkennen. Ob es sich dabei um Neandertaler oder heutige Anzugträger handelt, diese Entscheidung überlässt Christof Klemmt der Fantasie der Betrachter. Bemerkenswert bleibt, dass diese sowohl die Figuren erkennen, als auch deren Bewegung bergauf nachvollziehen können, denn der Künstler hat die Personen sowie die sie umgebende Landschaft aufs Äußerste reduziert und abstrahiert Überdies hat er künstlerische Konventionen, wie die der Perspektive und der Anordnung der Farben im Bildraum außer Acht gelassen.


Überhaupt die Landschaften, sie zeigen die größten Unterschiede in der malerischen Vorgehensweise. Christof Klemmt hat versucht, Landschaftliche Phänomene über eine spezielle, auf die jeweilige Situation bezogene Bildsprache auszudrücken und mit Pinsel und Farbe umzusetzen. Wie anders mutet das nächtliche Gewitter über Wasser an! Statt der leuchtenden Farbigkeit nun ein dunkler, reliefartiger Grund, aus dessen oberster schwarzer Farbschicht flirrendes Gelb hervorbricht. Doch nicht nur dort, wo die wiederum mit Lack und Sonnenblumenöl vermischte Farbe aufgeplatzt ist, zeigen sich Kraft und Bewegung. Sie äußern sich auch hier

in dem pastosen, strudelförmigen Farbauftrag. Schnell wird deutlich, dass das Bild aus vielen Schichten aufgebaut ist, die überdies mit verschiedenen Pigmenten versetzt wurden, farbigen Erden, die der Künstler von seinen Reisen mitgebracht hat. Schwere und Leichtigkeit, Ruhe und Lebendigkeit bilden somit die Pole, zwischen denen die Blitze hin und her zucken und das Bild je nach Lichteinfluss weiterhin verwandeln.


Das Interesse des Künstlers gilt jedoch mehr und mehr der intensiven Farbigkeit. Das weiße Igluzelt steht in einer heiter gestimmten Heidelandschaft, hinter Bäumen versteckt. Der idyllische Schafstall und der sich zwischen den Wacholderbüschen in den Bildraum schlängelnde Weg entsprechen ganz der entspannten Urlaubsstimmung. Doch auch in diesem Bild ist die Farbe nicht nur Stimmungsträger, sondern greift gestalterisch die Topografie der Landschaft auf: so hat Christof Klemmt u. a. die markanten Konturen der Wacholder mit einem motorangetriebenen Pinsel gemalt. Der Maler verweist gerne auf die Künstler des abstrakten Expressionismus oder des Informel und insbesondere auf Emil Schumacher, er schätzt deren Sensibilität für Linie und Form bei gleichzeitigem Interesse an der Materialität eines Bildes, sowie den freien und kraftvollen Umgang mit der Farbe. Ihre stilistischen Freiheiten und Experimente haben ihm sicherlich den Weg geebnet, eine eigene, unorthodoxe Vorgangsweise zu entwickeln und immer wieder Neues auszuprobieren, ist die Kunst doch Spiegel ihrer Zeit. Wir wissen längst, dass die immer wieder einmal für tot erklärte Malerei sich bester Gesundheit erfreut und sind gespannt darauf, wie Christof Klemmt sie weiterhin verändern wird und neue malerische Tatsachen schafft.


Lieber Christof, ich wünsche Dir weiterhin viel Erfolg und Ihnen viel Freude beim Betrachten der Bilder. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

 

 

Prof. Dr. June H. Park, Rektor der Muthesius Kunsthochschule Kiel

Die malerischen Arbeiten von Christof  Klemmt sind vom Genre her nicht eindeutig fassbar bzw. verschiedenen Genres zuzuordnen: von der gegenständlichen Malerei bis zur Farbfeldmalerei. Jedoch findet sich kein Anzeichen malerischer Intention, Körper und Gegenstände auszuformen, Räume auszubilden oder die Verhältnisse der verschiedenen Farbflächen einem stringenten System zu unterziehen. Die Zuordnung zur abstrakten Malerei trifft ebenso nicht. Die meisten Arbeiten von Christof Klemmt lassen die Erwartungen an die Malerei links liegen, übergehen sie regelrecht. Die Malerei dient hier nicht mehr einer inhaltlichen Aussage oder eines bildnerischen Konzeptes, sondern sie stellt ein zur Materie gewordenes Zeugnis eines künstlerischen Prozesses dar. Die Bilder gleichen einem archäologischen Fund, einem Beweismaterial, aus dem ein Geheimnis des Seins und Werdens entlockt werden könnte. Das Geheimnis, das Christof Klemmt interessiert, ist das Grundsätzliche, vielleicht das Universelle des Schöpferischen, die Materie, die wegen ihrer Stofflichkeit Distanz schafft, sieht er in der Horizontalen repräsentiert; den Geist, der wegen seiner Nichtstofflichkeit Distanzen überwindet, sieht er in der Vertikalen repräsentiert. Eine Arbeit veranschaulicht diese ideelle Ausgangsbasis des Malers auf extreme Weise: es handelt sich um das Bild mit weißer Farbfläche: unter dem Weiß verbergen sich 20 Farbschichten. In diesem Bild ist das Geistige entlang einer imaginären vertikalen Achse inhärent, die die 20 Farbschichten Material durchdringt. Es ist zwar nicht sichtbar, aber dennoch existent. Dieses Beispiel zeigt die Grenzen der gegenständlichen Malerei und eben auch den Freiraum, der durch die Kunst als Geisteshaltung gewonnen werden kann.
Die Ausstellung bo-o-morph zeugt von einer wohltuenden Zurückhaltung. Die meisten Arbeiten erschließen sich nicht unmittelbar, vielleicht sogar nur unterbewusst. In jedem Fall bleibt das Geheimnis gewahrt und ist keinesfalls verloren.



Dr. Dörte Beier, Kunsthistorikerin

Christof Klemmt setzt sich in seiner Ölmalerei mit den Grundfragen des Lebens auseinander, beispielsweise mit der Evolutionstheorie, mit dem Verhältnis von Materie und Geist oder mit der Wahrnehmung von Zeit und Raum. „Bin ich ein Schmetterling, der träumt, ein Mensch zu sein, oder bin ich ein Mensch, der gerade von einem Schmetterling träumt“ (daoistischer Philosoph Zhuängzi). Wie können wir sicher sein, dass all das, was wir erleben, wirklich stattfindet? Woher wissen wir, dass wir nicht träumen oder in einer virtuellen Welt gefangen sind? In dem populären  Science-Fiction-Film Die Matrix erwacht die Hauptperson eines Tages in einem Tank mit Nährlösung, angeschlossen an eine Maschine, und sieht sich mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass sein ganzes vermeintliches Leben und alles, was er für Realität gehalten hat, nur eine Computersimulation gewesen ist. Ist die objektive Welt für den Menschen eigentlich fassbar? Christof Klemmts Bilderserie „Metabol2“ („Veränderlichkeit) thematisiert genau diese Fragen, wobei die Pinselspuren, die die rotierende Bohrmaschine auf der Leinwand hinterlässt, für die Evolution als sichtbar werdende Veränderlichkeit der Dinge stehen. Auch die erneute Verflüssigung bereits teilweise angetrockneter Farben durch Herabregnen von Terpentin auf die Leinwand in seiner Serie „weißes Quadrat“ dient der Veranschaulichung dieses Wandlungsprozesses, indem die jeweils 20 hauchfein übereinander gelegten Farbschichten ineinander zu fließen beginnen. Bei mehrmaliger Wiederholung des Vorgangs entsteht zunächst ein diffuser Bildeindruck, der sich bei intensiver Bildbetrachtung zu einem leuchtend klaren, transparenten Tiefenraum öffnet. Die roten, reliefartig aus dem gelbweißen Bildgrund herauswachsenden Farbakzente sind die letzten Distanzen des Materiellen: Sie sind die Pforten zum geistigen Raum, markieren somit den Übergang von der materiellen zur geistigen Ebene. Die Evolution wird Klemmt zufolge durch die Kraft der Natur ausgeführt, die allem Weltlichen Bewegung verleiht, gesteuert vom Geist der Schöpfung. In seiner Bildserie „Horizontale“ assoziieren die unterschiedlich breiten, vom unteren zum oberen Bildrand übereinander geschichteten horizontalen Raum und Landschaft, wohingegen die Vertikale die geistige Ebene, das Licht, symbolisiert. Über die beschriebenen allgemeingültigen Bildaussagen hinaus ist die Malerei Christof Klemmts immer auch zutiefst persönlich, indem sie stets auch innere Landschaften, Psychogramme der eigenen Befindlichkeit, versinnbildlichen- also Ausdruck von Emotionen, Erfahrungen und Lebenshaltungen des Künstlers sind.